alpinclub

Erdbeben in Pakistan
Hilfsaktion von Alpinclub und Bergwacht Sächsische Schweiz

Begwacht

12.7.2006 - Die Flut zerstört unser Camp

Erlebnisbericht von Tilo Günther

Am sonnigen Mittwoch schlossen wir die Schalung zum zweiten Ringanker ab und begannen mit der Bewehrung zum dritten. Die meiste Zeit nahm jedoch der Kiestransport in Anspruch. Glücklicherweise hatte der Fluß am Vortag gute Dienste geleistet.
Nach abgeschlossener Arbeit fanden wir uns im Camp ein, wo Karim, unser Koch, ein leckeres Mahl zubereitet hatte. Schon während wir aßen kam ein starker Wind auf und es fing an zu regnen. Kurz darauf hörten wir starkes Donnergrollen und der Regen peitschte gegen die Zeltplanen. Juli ist Monsunzeit. Von draußen hörten wir Pfiffe, konnten jedoch nicht sehen von wem sie kamen und wem sie galten.
Dann wurde unser Waschzelt weggeblasen und Paul, unser Tischler, ging nach draußen, um es zu retten. Er nahm einen Regenschirm mit und ich sagte zu Haike, der wird wohl nicht lange halten.
Von da an ging alles sehr schnell. Als wir vom Bürozelt ins Schlafzelt wechselten um unsere Regenjacken zu holen kam uns einer meiner Schuhe entgegen geschwommen. Das Wasser stieg in Sekundenbruchteilen stark an und es gab nur noch eins: raus hier! Ich schaute schnell nach Paul und Karim konnte sie aber nicht mehr im Camp finden. Ich rannte zurück ins Zelt und sah wie das Wasser die Reisfelder oberhalb des Camps wegspülte und jede Menge Geröll Richtung Camp spülte.
Im Zelt war Haike und wir schnappten das Nötigste, Pässe, Laptop und Satellitentelefon. Das Camp war nun völlig geflutet und wir liefen hinten raus in Richtung Fluß. Ich kämpfte mich durch das Wasser auf die andere Seite, wo viele unserer Arbeiter standen und mir die Sachen abnahmen. Ich schaute zurück und konnte sehen wie Haike mit einem Arbeiter sich an der anderen Seite flußaufwärts arbeitete. Ich stand noch eine Weile da, sah aber ein, dass wir erst einmal nichts weiter ausrichten konnten.
Achmed, der Lehrer, lud mich ein in sein Haus, von wo ich Haike sehen konnte; sicher am Hang gegenüber. Er nahm mir meine nassen Klamotten ab und verpasste mir ein trockenes pakistanische Gewand (# Salwar Kameez). Als der Regen nachließ ging ich zurück zum Camp wo ich auch Haike traf. Jede Menge Dorfbewohner waren schon da und hatten viele unserer Sachen, Werkzeuge und Maschinen gerettet, offensichtlich nachdem wir geflüchtet waren. Zwei Zelte waren komplett vom Geröll verschüttet, unter anderem das von Karim und Paul; zum Glück war die Flut nicht nachts gekommen. Die Nacht verbrachten wir im Haus von Tahir, unserem Vorarbeiter.
Als wir beim Essen waren kam René an, dessen lange Reise 40 Stunden vorher in Altenburg startete. Er wird die nächsten 7 Wochen die Arbeiten an der Schule betreuen.

Erlebnisbericht Haike Lieder

Am gestrigen Vormittag war ich noch der Meinung, daß die Projektübergabe an Tilo und Rene ganz einfach verlaufen wird. Alles war gut vorbereitet und die wichtigsten Dinge dokumentiert: Die Namen der verschiedenen Arbeiter, die Stundenlöhne, verschiedene fixe Zahlungsverpflichtungen, die Anzahl der produzierten Blocksteine in verschiedenen Größen sowie die Materialbestellungen. Auch der Zeitplan war gerade konkretisiert worden. Und somit sahen wir gestern nach dem Essen während unserer Vorbereitungen für den heutigen Tag vom sicheren Bürozelt aus dem peitschenden Regen zu.
Karim und Paul verließen gestern zum Glück zum Sichern des weggeflogenen Waschzeltes das Küchenzelt , denn Sekunden später wären sie mit diesem vom Wasser erfaßt und vom Geröll überschüttet worden. Ihr Schlafzelt war offensichtlich sofort von den Fluten samt Inhalt weggetragen worden; die kläglichen Reste des Küchenzeltes haben wir heute unter dem Geröll weit entfernt freilegen können. Diese Fetzen können uns jetzt maximal als Unterlage für die Kieslager dienen.
Wir hofften heute, noch einige verwertbare Dinge zu finden, aber die gesamte Küchenausrüstung inklusive der schweren Kocher und Gasflaschen wurde weggeschwemmt. Es war ziemlich kurios, als man uns lediglich eine völlig intakte Pfanne und unsere im Plastikbeutel aufbewahrten Teebeutel als einziges übergab. – Da, wo diese beiden Zelte noch gestern standen, liegen heute bis zu 70cm große Felsbrocken. Welches Glück Paul und Karim hatten, wurde mir erst heute richtig bewußt. Hätten sie geruht, was sie üblicherweise nach der Arbeit oder dem Kochen verdientermaßen tun, hätten sie kaum flüchten können und wären in ihrem Zelt überrollt worden.
Die umliegend am Hang wohnenden Leute, zum großen Teil unsere Arbeiter, haben von oben die herannahende Flut und das Geröll sehen können und waren schon pfeifend nach unten geeilt, um uns zu warnen bzw. helfen zu können. Jedoch wir im Tal, sahen ebenso wie die benachbarte Familie, gar nichts von der hinter dem Camp ankommenden Gefahr!
Tilos und mein Glück war, daß wir das Bürozelt verließen um unsere Regenjacken zu holen, weil die Zelte im Camp kontrolliert und gesichert werden mußten. Während ich im Zelt die Jacke schloß wurden plötzlich die Füße naß, instinktiv ein Blick zum Boden und ich sah, wie alle Schuhe nach oben kamen und in verschiedene Richtungen wegschwammen. Beim Schritt zum (wegen des Regens nur wenig geöffneten) Zeltausgang Richtung Camp nahm ich aus den Augenwinkeln noch wahr, wie auch die Pappkisten mit den restlichen von Gore-Tex gespendeten Regenjacken und Handschuhen durch das Zelt schwammen.
Sofort ein Blick nach draußen. Ich sah das Geröll entgegenkommen und irgendwo Karim weglaufen, der mir etwas hektisch zurief. Situationserfassung. An Tilo: "Wir müssen hinten raus", folgte sofort der Gedanke an unser Telefon, um im Notfall Hilfe rufen zu können, denn ein anderes Telefon gibt es hier ober weit und breit nicht. Also öffnete ich die Kiste, in der sich unsere Technik befand und konnte gerade noch dem flüchtenden Tilo den Laptop in die Hand drücken. Da das Satellitentelefon! Ein Griff nach den Kabeln. Blitzcheck ob alle nötigen da sind; alles in den nächsten greifbaren Rucksack und raus aus dem Zelt.
Ein Stück bachaufwärts, dann queren zu den Leuten oben am anderen Ufer! Da stand auch Tilo – in Sicherheit. Ich erkannte einen unsere Arbeiter am anderen Ufer, der mir aber zurief "No River, up to Ismail!"; ich mußte also auf hiesiger Seite die Steinmauern der Reisfelder hochklettern um die nächstliegende Hütte zu erreichen.
Ich konnte mich nur auf die Zurufe der Leute verlassen, denn noch immer konnte ich im Flußbett nicht einsehen, was wie und aus welcher Richtung von oben kam. Mit dem Rucksack barfuß durch den steinigen Bach vorbei an Felsblöcken suchte ich nach geeigneten Tritten, als mir plötzlich einer unserer Arbeiter, Sher Bahardir, entgegen sprang, zu Hilfe kam und mir den Rucksack abnahm. Gemeinsam kletterten wir schnell die die Felder trennenden Steinmauern immer höher und versanken immer wieder knietief in den gefluteten Reisfeldern. Ich steuerte die Hütte an, aber plötzlich war Sher Bahardir nicht mehr hinter mir. Er war mit dem Rucksack auf einen riesigen Felsblock geklettert, umgeben von Wasser. Ich rief ihm zu, er solle nachkommen, denn noch immer waren die Felder zu durchqueren. Gestiken "Nein, ich solle allein gehen". Mein Gedanke: "Nicht ohne ihn und das Telefon…".
Gemeinsam erreichten wir die Hütte, aber auch da stand schon das Wasser. Gerade wurden die Frauen und Kinder dort rausgeholt und zur nächsten Hütte gebracht. Nun half auch ich und wir schoben die Frauen die Steinhänge hoch. Irgendwann übernahm ich ein Baby (das zweite, bei dessen Geburt ich vor einigen Tagen hier dabei war).
Oben an der Hütte standen fröstelnd einige Männer und überschauten das Tal; die Frauen wurden schnell in die Hütte gelassen und eine alte Frau redete dauernd auf mich ein, ich als Frau müsse auch rein kommen. Doch ich hatte andere Sorgen: noch keinen Überblick über die Lage in Sakargah. Und so versuchte ich die Notrufnummer zu erfahren, um über das Satellitentelefon im Bedarfsfall Hilfe anfordern zu können. Die wurde zum Glück nicht gebraucht; alle Leute waren ohne größere Verletzungen dieser Überflutung entkommen. Auch war es "nur" eine Überflutung eines einzelnen Seitentales.
Ich verließ mich nun auf die einheimischen Erfahrungen und wartete ab, bis unser Vorarbeiter Tahir kam, mich abholte und in sein Haus brachte. Aber der Weg dorthin durch das gerade verschüttete alte Flußbett war fremd, obwohl ich ihn nun schon 10 Wochen lang täglich mehrmals gehe. Überall lagen neue große Felsblöcke und Geröll, abgebrochene Bäume.
Ich staunte nicht schlecht, als einer unserer Arbeiter mit unserer Technikkiste bergauf kam, dachte ich doch, alles sei verschüttet oder flußabwärts gegangen. Nachdem mir versichert wurde, dass es offensichtlich keine ernsthaft Verletzten in Sakargah gab, begab ich mich zum Camp, aus dem unsere Arbeiter schon die meisten Dinge, die noch da waren, sichergestellt hatten. Keine Verletzten!
Aber wir haben 3 Zelte samt Inhalt und fast alles Werkzeug verloren. Alle mühsam in Besham, Islamabad erworbenen oder aus Deutschland mitgebrachten Werkzeuge und kleineren Maschinen, wie unser Winkelschleifer, waren abgegangen; der Medizinkoffer ist weg. Lediglich das Notstromaggregat sowie der Rüttler sind herausgeholt worden, müssen aber heute abend noch überprüft werden. Alle Pläne und Papiere, auch unsere Auszahlungs- und Lohnbücher sind den Bach runtergegangen. Leider blieben auch viele Sachen und Wertgegenstände von Paul und Karim verschollen.
Die heutige Aufräumaktion und Suche nach verwertbaren Dingen nahm den vollen Tag in Anspruch. Am Abend hatten wir nahe der Schule, weit oberhalb des Flusses, bereits einen neuen Platz fürs Camp gefunden und unser gerettetes Zelt aufgestellt. Das Unglück wird die Bauarbeiten um einige Tage verzögern. Am meisten fehlen uns die vielen verlorenen Werkzeuge, die hier schwer aufzutreiben sind. Für Rene war es heute ein überstürzter Einstieg in das Projekt. Doch seine technischen und "bastlerischen" Fähigkeiten werden wir die nächsten Tage hier dringend brauchen. Doch ich möchte nichts vorwegnehmen; er stellt sich morgen selber vor. Amir und Karin fuhren noch heute Vormittag nach Islamabad, um neue notwendige Ausrüstung und Werkzeuge zu besorgen, so dass die Arbeit an der Schule schnell wieder aufgenommen werden kann. Bis das Camp wieder steht, wohnen wir weiter bei unserem Vorarbeiter. Wir sind gekommen um zu helfen, doch nun hilft man uns.

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