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Nanga Parbat Silbersattel

Der Berg, über den kein Vogel fliegt


- Arbeitsauszug aus dem Theaterstück von Kai Grehn -

"Der Bedingungen eines einsamen Vogels sind fünf:
die erste, daß er zum höchsten Punkt fliegt;
die zweite, daß er sich nicht nach Gesellen sehnt, nicht einmal seiner eigenen Art;
die dritte, daß sein Schnabel gen Himmel zielt;
die vierte, daß er keine bestimmte Farbe hat;
die fünfte, daß er leise singt."


(San Juan de la Cruz)


"Der große Berg ist ein Gebäude ohne Treppen, ohne Stockwerke, ohne Türen.
In dem Haus wohnt niemand. Der Besitzer ist taub und stumm wie die Steine.
Das Geheul des Windes sind seine einzigen Worte.
Wenn Du nach oben steigen willst, wird das Haus zum Gefängnis.
Die Unsichtbaren Gitterstäbe heißen Ehrgeiz.
Erst nach dem Gipfel wirst Du wieder frei."

(Reinhard Karl)


PERSONEN:
Hermann
Der Namenlose
Stimme des Expeditionsleiters
Stimme von Beth
Stimme des toten Seilpartners
Stimme des Reporters
Stimme des Versicherungsangestellten
2 Statisten

ORT:
Todeszone auf dem Berg, über den kein Vogel fliegt.




(einlaß. die blaue stunde, die dunkler und immer später wird. auf einem berg, in einer höhe in der kein vogel fliegt, ein mann, der sich richtung gipfel zwingt. pulverschnee wirbelt in wellenkämmen durch die luft. nebelbänke. wolkenfetzen. der mann geht langsam, zu langsam. sein rucksack scheint schwer zu sein, zu schwer. sein daunenanzug ist eisstarr. der mann auch. schneeverkrustet das gesicht. hände und füße, schwarzblaues holz. schneekristalle schneiden wie messer durch seinen hals. der mann, der jenseits des menschen zu sein scheint, kämpft sich hinauf die letzten höhenmeter bis zum gipfel, sitz der götter, gräbt sich durch grundlosen schnee in der haltung eines viebeiners. im schein seiner stirnlampe erscheint das gipfelstativ, im jetstream betende windpferde, keine götter. für den mann gibt es kein höher mehr. im blitzlichtgewitter eines selbstauslösenden photoapparats schlägt er seinen eispickel in die leere des himmels. die welt zu füßen. die ganze. ohne gestern. ohne heute. ohne morgen... im tanz der schneeflocken. in erwartung der anbrechenden dunkelheit. im angesicht des bevorstehenden abstiegs, vorbei an den toten, die die spuren seines aufstieges markieren. wo ist oben? wo ist unten? unter seinen füßen der schnee trägt ihn nicht mehr. eine gedankenlänge stille.)

HERMANN:
Das also ist der Tod.

(hermann breitet die arme aus und stürzt in die tiefe. das licht der stirnlampe verlischt, das einlaßlicht im zuschauerraum auch. dunkelheit. gesang des berges: eine art gleichbleibender summton. ein summen und murmeln wie in einem großen kirchenschiff. töne ohne rhythmus, ohne melodie, nicht unähnlich dem gebet der lamas.)

HERMANN:
Hermann?
Ja?
Bist du wach?
Ja, ich bin wach.
Laß dich nicht täuschen, Hermann. Nicht einen Tag.
Nein. Nicht einen Tag.
Vor allem aber: Täusche dich nicht selbst.
Nein. Niemals. Nicht einen Augenblick.
Dann steh jetzt auf. Öffne das Fenster.
Nichts leichter als das. -- Heiliger Christophorus! Was ist das?
Betätige den Lichtschalter.
Licht ist weg, weg der Schalter.
Hermann, bist du wirklich wach?
Ein Lichtschalter kommt nicht mir nichts dir nichts mitten in der Nacht abhanden. Ich meine, in der Nacht, da verlierst du schnell etwas. Blitzschnell. Ohne Vorwarnung.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel deinen Haustürschlüssel. Oder dein Adressbuch mit all den Namen, den Anschriften all der Menschen, die dir Einlaß gewährten in ihr Leben, mehr oder weniger. Oder deinen gesamten Monatslohn. Vier Wochen Fronarbeit. Lebenszeit. Weg. Blitzschnell. Ohne Vorwarnung. Freunde. Bekanntschaften für zwei oder drei Sternstunden. Weg. Manchmal, nein, nicht manchmal, sondern sehr oft sogar, da verlierst du deinen Kopf in dem Durcheinander der Nacht. Oder das Herz. Oder beides. Aber einen Lichtschalter?
Mir ist kalt. (heftiger hustenanfall.) Seit wann eigentlich stecken kleine Kristallklingen in meiner Kehle? Unmöglich. Das kann kein Blut sein, was durch meine Adern kreist. Das muß Stickstoff sein. Flüssiger. Würde ich auch trinken. Hauptsache trinken. Und dann versinken in der Umarmung Lethes, daß die Stimmen endlich aufhören, ein für allemal aufhören in meiner Stirn zu hausen. Wo bloß ist der Lichtschalter abgeblieben? Vielleicht sollte ich zurück gehen, wieder in mein Bett gehen...(ein dumpfer schlag in der ferne.) Beth? Beth, bist du das?

(der ohrenbetäubende lärm einer donnernden lawine, die in die tiefe stürzt. danach stille. nur der gesang des berges. ein blasser lichtstreifen zeichnet am horizont sich ab, kündet den neuen tag. klicken und rauschen aus hermanns walky-talky.)

STIMME DES EXPEDITIONSLEITERS:
(aus hermanns walky-talky) Hier Schneeanker... Schneeanker an weiße Krähe: Kommen... Hier Schneeanker... Schneeanker an Weiße Krähe. Weiße Krähe: Bitte kommen...

(im licht des hervortretenden tages wird eine mächtige steilwand sichtbar und eine kleine terrasse in ihr, auf der der bewußtlose hermann liegt, bedeckt vom schneestaub der abgegangenen lawine. sein rechtes bein liegt unter einem eisblock begraben, der die größe eines kühlschrankes besitzt. gesicht und bart sind eis- und blutbedeckt.)

HERMANN:
(im halbschlaf) Krah Krah. Hier weiße Krähe. Wer da?

STIMME DES EXPEDITIONSLEITERS:
Hermann? Hermann bist du das?

HERMANN:
Oswald, ich sollte einen Strick nehmen und dich anseilen als schlechten Traumfänger über meinem Bett. Gerade hatte ich ein Rendezvous mit der Wohlgesonnenen, tigerreitende Sumati. Wir standen oben. Ganz oben. Auf dem Gipfel. Über uns nur noch Himmel. Kein Höher. Kein Weiter. Nur Weite. Weite und Wolken. Wolken, die vorüberziehen. Weiter nichts...

STIMME DES EXPEDITIONSLEITERS:
Also doch: Hermann, der Gipfelsammler ... (freudenrufe im hintergrund aus dem walky-talky.) Gratulation. Von mir und von der Mannschaft auch. Kleingläubig wie ich bin, glaubte ich schon... Wo steckst du?

HERMANN:
Was heißt: wo stecke ich? Wo soll ich denn stecken? In meinem Bett stecke ich. Zuhause. Wo sonst?

STIMME DES EXPEDITIONSLEITERS:
Hermann, die Berggeister sind dabei in Aufruhr zu geraten: wir haben gerade den Wetterbericht reinbekommen. Laß alles stehen und liegen. Schnapp dir deine Siebenmeilenstiefel, und dann auf und davon, runter vom Berg. Bis zum Ende des Tages ins vorgeschobene Basislager, das schaffst einer nur. Und dieser eine, das bist du. Mach uns die weiße Krähe, die auf eiligen Schwingen ins Basislager schwebt, schneller als der Schippenträger... Hermann?

HERMANN:
(öffnet die augen.) Kann es sein, mein Freund, daß du von Zeit zu Zeit die falschen Drogen nimmst? Oder habe ich gestern Nacht irgendwas verpasst?
(seinen oberkörper langsam aufrichtend.) Also gut. Du willst die Vogelnummer? Du bekommst die Vogelnummer. In einer Stunde spätestens kommt die weiße Krähe geflogen und setzt sich nieder auf deinen Fuß... -- Oswald, eine Frage nur: Wo, habe ich gesagt, stecke ich gerade?

STIMME DES EXPEDITIONSLEITERS:
Zuhause. Wo sonst?

HERMANN: Und wo ist das, mein Zuhause?

STIMME DES EXPEDITIONSLEITERS: Dein Zuhause? Das ist das Land des Schnees. Land der Steine. Dein Zuhause, das sind die senkrechten Wüsten dieser Welt.

HERMANN:
Scheint so, als wäre ich Zuhause... Und du, wo steckst du gerade?

STIMME DES EXPEDITIONSLEITERS:
Willst du, daß ich winke? Hier bin ich, im Basislager, 3000 Höhenmeter unterhalb von dir... Hermann, ist alles in Ordnung?

HERMANN:
Abgesehen von dem Kühlschrank, der auf meinem Bein liegt: Ja.

STIMME DES EXPEDITIONSLEITERS:
Ein Kühlschrank? Was für ein Kühlschrank?

HERMANN:
Mach dir deswegen keine Sorgen. Gleich werde ich aufwachen, und dann ist der Kühlschrank fort. Und der Berg. Und die Messerklingen in meiner Kehle. Die Schneeterasse auf, die Schneedecke unter der ich liege. Alles fort. Fort die Dämonen. Die Halluzinationen. Fort der Mann, der behauptet ich selbst zu sein. Auch du mein Freund, wirst fort dann sein. Ich glaube, es ist besser, ich lege jetzt auf. Sobald ich aufgestanden bin, und sofern ich mich dann noch erinnere an dieses Hirngespinst, rufe ich dich zurück.

STIMME DES EXPEDITIONSLEITERS:
Her...!

(hermann schaltet das walky-talky ab.)

HERMANN:
Und nun zu dir, flying fridge. (versucht den eisblock in den abgrund zu stoßen.) Was hat ein komischer Vogel wie du verloren auf meinem Fuß? Du sagst es: Nichts. Und was deine Flugkünste betrifft, flying fridge, das üben wir. -- Jetzt! (der eisblock stürzt die steilwand hinab. aus der tiefe ertönt der schrei eines abstürzenden bergsteigers.)
Hermann?
Ja?
Das ist alles nur ein Traum.
Ein Alptraum ist das, eine Geistereinbahnstraße mit wechselnder Statisterie. Hinter jeder Biegung ein neuer Aufhocker. In einer der 666 Gestalten des Schippenträgers springt er in den Nacken dir und brüllt: "Hallo Hermann. Ich bin allhier." (in der ferne ist das heulen eines hundes zu hören.) Das einzig beruhigende dabei ist, daß es keinen Unterschied zu geben scheint zwischen dieser und der anderen Welt. Eines schönen, vielleicht auch eines weniger schönen Morgens wachst du auf und dann sagst du dir: das alles war nur ein Traum. Kein Grund durchzudrehen... Wenn diese schwarzen Löcher nicht wäre. Manchmal, nein nicht manchmal, sondern sehr oft sogar, schrecke ich auf aus dem Schlaf, zerschunden, mein Körper bedeckt mit Blutergüssen, Chimären-Küssen. Mein Schädel, Schauplatz nächtlicher Gehirnmassaker. Wo ich doch weiß, daß ich unversehrt zu Bett gegangen bin, daß ich geschlafen habe, geschlafen wie ein Findling. Sollte etwas vorgefallen sein, und es muß etwas vorgefallen sein, der Blick in den Spiegel ist der trefflichste Beweis, erinnern kann ich mich an nichts. Filmriß. Vollkommene Amnesie. Nur zuweilen gelingt es mir, einige Filmmeter belichtet hinüberzuretten von dem einen in den anderen Traum. Sie zu deuten aber, daß vermag, wage ich kaum.
Zum Beispiel?
Heute Nacht zum Beispiel: Auf einem Berg, in einer Höhe in der kein Vogel fliegt, sehe ich einen mir unbekannter Mann, wie er sich Richtung Gipfel zwingt. Pulverschnee wirbelt in Wellenkämmen durch die Luft. Nebelbänke. Wolkenfetzen. Der Mann geht langsam, zu langsam. Sein Rucksack scheint schwer zu sein, zu schwer. Sein Daunenanzug ist eisstarr.Der Mann auch. Schneeverkrustet das Gesicht. Hände und Füße, schwarzblaues Holz. Schneekristalle schneiden wie Messer durch seinen Hals. Der Mann, der jenseits des Menschen zu sein scheint, kämpft und weiter sich die letzten Höhenmeter hinauf bis zum Gipfel, Sitz der Götter, gräbt sich durch grundlosen Schnee in der Haltung eines Viebeiners. Im Schein seiner Stirnlampe erkenne ich das Gipfelstativ, im Jetstream betende Windpferde. Keine Götter. Für den Mann gibt es kein Höher mehr. Im Blitzlichtgewitter eines selbstauslösenden Photoapparats sehe ich, wie er seinen Eispickel in die Leere des Himmels schlägt. Die Welt zu Füßen. Die Ganze. Ohne gestern. Ohne heute. Ohne morgen... Im Tanz der Schneeflocken. In Erwartung der anbrechenden Dunkelheit, des bevorstehenden Abstiegs, vorbei an den Toten, die die Spuren seines Aufstieges markieren. Wo ist oben? Wo ist unten? Unter seinen Füßen der Schnee, er trägt ihn nicht mehr. Eine Gedankenlänge Stille. Ich höre die Stimme des Mannes, sie ist klar und ruhig: "Das also ist der Tod." Der Mann breitet die Arme aus und fällt, Glühwurm im Dickicht der Nacht. Das Licht der Stirnlampe verlischt. Die Bilder, die meine Stirn behausen auch...
Was träumt eigentlich ein Baby, das im Uterus der Mutter schwebt? Träumt es, daß es durch Galaxien schwebt, pulsierend, warm und angenehm? Oder träumt es den Traum der Gefangenen, der der Traum von einem Regenbogen ist, gemalt auf das Gefängnistor, das zu verlassen nur den Toten vorbehalten ist?
Ich glaube, es wäre angebracht, allmählich aufzustehen. Ich könnte einen schwarzen Tee mir kochen oder einen noch schwärzeren Kaffee... oder doch lieber eine Weile noch im Halbschlaf mich verlieren, ein seiltanzender Flaneur in vierdimensionalem Zirkuszelt, Tänzer sein und Seil zugleich...

...


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