alpinclub

Erdbeben in Pakistan
Hilfsaktion von Alpinclub und Bergwacht Sächsische Schweiz

Begwacht
Fragen zu Hilfsaktion beantworten wir gern unter pakistanhilfe@gmx.de. Angaben zum Spendenkonto finden Sie hier

Bericht 1. Team (14.-30.10.2005)

verfasst von Jens Sommerfeld und Christian Walter
14.10. 12:00 Uhr

Die Abfahrt aus Dresden des gemeinsamen Hilfsteams von Alpinclub Sachsen und Bergwacht Abschnitt Sächsische Schweiz steht unmittelbar bevor. Von Frankfurt aus werden per Nachtflug die beiden Helfer am Sonnabend früh die Pakistanische Hauptstadt erreichen und sich von dort aus umgehend ins Katastrophengebiet begeben. Bereits die Vorbereitung dieser Aktion erforderte höchsten Einsatz von allen Beteiligten, denn der logistische Aufwand ist mit einer Achttausenderexpedition zu vergleichen, mit dem Unterschied, daß hier zwischen Idee und Abflug gerade mal zwei Tage zur Verfügung standen.
BergbauerDas Einsatzgebiet der Helfer Jens Sommerfeld und Christian Walter wird das Gebiet Indus-Kohistan in der Nähe der Stadt Besham sein. Dieses Gebiet liegt südwestlich vom Nanga Parbat am Karakorum Highway. Das Team wird 100kg Hilfsgüter so z.B. Verbandsstoffe, Zeltplanen und Wasserentkeimungsmittel nach Pakistan mitnehmen. Größere Transportkapazitäten bestehen leider zur Zeit nicht.
Ziel ist, in bewohnte Bergregionen vorzudringen, die zur Zeit noch völlig von der Umwelt abgeschnitten sind und dort zunächst die Verletzten zu versorgen und anschließend eine Minimal-Infrastruktur wieder in Gang zu bringen: Trinkwasser, Sanitäre Einrichtungen, Behelfsunterkünfte.
Einen Rückschlag mußten wir allerdings schon einstecken: Eine Anfrage ans Auswärtige Amt, ob aus den für die Erdbebenhilfe in Pakistan verfügbaren Mitteln von 1 Millionen eine vergleichsweise geringe Summe von 5000 EUR für unsere Aktion bereitgestellt werden kann wurde abschlägig beschieden: aufgrund interner Vorschriften arbeitet man prinzipiell nur mit großen überregionalen Organisationen zusammen. Sch... Bürokratie.
Doch wir lassen uns nicht entmutigen! Der Alpinclub hat seine Materiallager und einige Mitglieder ihre Konten leergeräumt um schnell helfen zu können. Nun sind wir dringend auf weitere Spenden angewiesen.

15.10. Rettungsteam erreicht Pakistan

Das Rettungsteam von Alpinclub Sachsen und Bergwacht Sächsische Schweiz ist heute früh pünktlich in Pakistans Hauptstadt Islamabad eingetroffen. Pakistan International Airlines unterstützt Helfer vorbildlich, extra Personal auf dem Flughafen ist abgestellt, um ihnen bei Einreiseformalitäten behilflich zu sein, Helfer werden beschleunigt behandelt und an der Zollkontrolle vorbei gelotst.
In der Stadt Islamabad selbst sind abgesehen von dem eingestürzten Margala Häuserkomplex sind für uns keinerlei Schäden sichtbar. Das Leben scheint normal zu funktionieren, doch die Angst geht immer noch um. Aufgrund der noch immer anhaltenden Nachbeben übernachtet fast die komplette Stadt im Freien, alle Plätze und Parks sind nachts überfüllt.
Unser Team wird sich jedoch nicht lange in Islamabad aufhalten. Nachdem hier vor Ort noch einige Dinge wie z.B. 240 Packungen Elektrolyte für vom Durchfall geschwächte Kinder sowie Planen und Bambusknüppel zum Aufbau von Behelfszelten gekauft wurden, erfolgt in wenigen Minuten der Start in Richtung Katastrophengebiet. In der Zielregion werden wir von ortsansässigen Partnern schon dringend erwartet. Sobald wir dort die Lage beurteilt haben, werden wir einen weiteren Transport mit den am dringendsten benötigten Hilfsgütern aus Islamabad nachfordern.
Für die Nachlieferung stehen zur Zeit 2000 EUR zur Verfügung. Damit können wir schätzungsweise 300 Menschen helfen. Wenn es gelingt, schnell weitere Spenden zu sammeln, könnte diese Zahl natürlich erhöht werden. Ein schönes Erlebnis in die dieser Richtung hatten wir gestern, als uns ein Mitreisender im Zug zum Frankfurter Flughafen spontan 50 EUR spendete.
Seit heute ist der Karakorum-Highway wieder komplett befahrbar. Dies erleichtert unsere Mission wesentlich und auch die gestern befürchtete Lebensmittelknappheit in Chilas sollte damit von Pakistan selbst gelöst werden können. Hier sind sehr viele Transporte unterwegs: internationale Hilfe aber auch Hilfsgüter aus dem vom Erdbeben nicht betroffenen Süden des Landes. Die Spendenbereitschaft in Pakistan selbst ist sehr hoch, der Engpaß stellt zur Zeit qualifiziertes Hilfspersonal dar.
Leider dauert es am Ende doch etwas länger einiges Werkzeug wie Spitzhacke, Schaufel und Axt zu besorgen, so daß wir Islamabad erst 15.30 Uhr verlassen.
Mit einem Kleinbus geht es nun auf dem Karakorum-Highway in Richtung Norden. Bereits in Abottabad 50 km nördlich zeigen sich deutliche Spuren des Erdbebens. Zum Glück ist es schon dunkel, und so müssen wir nicht das ganze Ausmaß des Elend sehen: komplett eingestürzte Häuser, umgestürzte Leitungsmasten und immer wieder aus Planen, Säcken und sonstigen Materialien errichtete Notunterkünfte. Während in Abottabad neben einigen komplett zerstörten Häusern die Mehrzahl der Häuser im dunklen noch unversehrt erscheint, die Stromversorgung noch funktioniert und sogar die Geschäfte noch geöffnet haben, wird es je weiter wir kommen immer schlimmer. In Chatar Plain, einer idyllischen Hochebene ist die Mehrzahl der Häuser schwer beschädigt und eine Behelfsunterkunft reiht sich an die nächste.
Das folgende Stück Karakorum-Highway ist als Strasse kaum noch zu erkennen, Erdrutsche haben alles großflächig verschüttet, PKW-große Felsblöcke sind herabgestürzt. Die Armee hat da hinein mit schwerem Räumgerät eine fahrbare Schneise geschoben. Die folgende Siedlung Batgram scheint uns von allen am schwersten betroffen. Dort haust fast die gesamte Bevölkerung in Notunterkünften. Die Versorgung scheint aber inzwischen sicher gestellt zu sein. Auch das letzte Stück unserer Fahrt nach Besham führt wieder über etliche Kilometer Piste, die den Titel Strasse nicht mehr verdienen, stellenweise ist Schrittempo angesagt, aber wir kommen immerhin vorwärts. 22.30 Uhr erreichen wir endlich Besham.

16.10. Besham und Umgebung

Heute wollen wir uns zunächst einen Überblick über die Situation vor Ort zu verschaffen. Im Krankenhaus ist niemand, die Verletzten sind alle in die südlichen Landesteile verlegt worden, die Ärzte anscheinend gleich mit. Internationale Hilfe ist auch noch nicht gesichtet worden, aber eine pakistanische Aktion verteilt Lebensmittelspenden. Das ganze läuft sehr geordnet ab, aber es bekommt natürlich nur derjenige etwas für seine Familie, der sich selbst anstellen kann.
Wir besorgen einen Minibus und fahren auf einer kleinen Stichstrasse noch ein Stück in die Berge hinein des Hindukusch hinein. Auf dieser Seite des Indus sind wir nämlich nicht im Himalaja sondern im Hindukusch aber was für den Geographen bedeutsam erscheint ist für uns in der jetzigen Situation völlig egal. Am Ende der fahrbaren Piste schultern wir unsere Rucksäcke und steigen gemeinsam mit unseren drei pakistanischen Begleitern auf steilen Bergpfaden bergan.
Es gibt hier keine Dörfer in unserem Sinne. Die Menschen wohnen in winzigen Siedlungen, in denen jeweils die Hauser einer Großfamilie eng an den steilen Berghang gebaut sind.
Schon in der ersten dieser Siedlungen zeigt sich, daß sich die Katastrophe hier deutlich von dem unterscheidet, was als Nachrichten aus Kaschmir über deutsche TV-Bildschirme flimmert. Während in Kaschmir viele Kinder in Ihren einstürzenden Schulen erschlagen wurden, sind hier eher die alten Leute die Todesopfer. Schulen gibt es kaum, die Kinder waren mit den Ziegen unterwegs oder haben vor dem Haus gespielt, die Männer waren unterwegs und die meisten Frauen auf dem Feld. Nur die Alten haben im Haus gesessen. Dennoch sind auch sehr viele Kinder verletzt, auch durch den durch das Beben ausgelösten Steinschlag an den steilen Berghängen.
Die Bilder, die sich in den einzelnen Siedlungen bieten sind stets die gleichen: die Hauser aus Lehm, Holz und Steinen sind total zerstört und die Menschen hausen seit einer Woche unter katastrophalen Bedingungen in Behelfsunterkünften. Einige haben Plastikplanen ergattert, die aber viel zu dünn sind, um länger als eine Woche durchzuhalten. Andere haben nur Ihre Maisernte auf einen großen Haufen geworfen und sind darunter gekrochen, um sich vor den häufigen Regenfällen zu schützen. Nur wenigen ist es gelungen, sich Behausungen zu bauen, die einen gewissen Schutz vor Nässe und Kälte bieten.
Wir helfen so gut wir können, teilen hier einige aus Deutschland mitgebrachte Zeltplanen aus, verteilen dort etwas Reepschnur und versorgen Kranke und Verletzte. Am meisten leiden die Kinder. Einige sind völlig traumatisiert, haben seit dem Erdbeben kein Wort mehr gesprochen, andere haben kleinere Verletzungen, die aber aufgrund der unmöglichen hygienischen Zustände zu eitern beginnen. die meisten sind erkältet durch die kalten Nächte im Freien. Den tiefsten Eindruck hinterläßt ein fünf Monate altes Baby, welches von seiner Mutter aus der einstürzenden Hütte geworfen wurde, um sein Leben zu retten. Zum Glück ist die Kopfverletzung schon etwas verheilt und Pupillenreaktion und Reflexe sind in Ordnung.
Es ist schon dunkel als wir Besham am Abend zu Fuß wieder erreichen. Die Bilanz: 12 Siedlungen mit 100 Erwachsenen und 104 Kindern geholfen, dabei 800 Höhenmeter an steilen Berghängen emporgestiegen um am Ende müde und K.O. sagen zu können: es hat sich gelohnt.

17.10. Aus Besham

Am Morgen haben wir zunächst einige Hilfsgüter, d.h. Elektrolylösungen für die Kinder sowie Zeltplanen und Bambusstöcke zum Bau von Notunterkünften sowie Rettungsdecken aus reflektierend beschichteter dünner Plastikfolie zum Schutz der Kinder vor den schlimmsten Auswirkungen der nächtlichen Kälte verteilt. Wir haben damit unsere gestern begonnene Arbeit fortgesetzt. Wir haben gestern den bedürftigsten Leuten vor Ort in den Siedlungen genau auf Ihre Bedürfnisse abgestimmte Bezugsscheine ausgestellt und sie aufgefordert, sich das am heutige morgen bei uns in Besham abzuholen. Das hat alles prima geklappt und mit diesem Verfahren kann wirklich gezielt geholfen werden und nicht die stärksten sondern die bedürftigsten bekommen zuerst die nötige Hilfe.
in BeshamDa unsere mitgebrachten Hilfsgüter angesichts der riesigen Zahl Bedürftiger vorn und hinten nicht ausreichen haben wir Kontakt zu zwei weiteren Hilfsorganisationen gesucht, die inzwischen hier in Besham ihre Arbeit aufgenommen haben. Sie werden die Hilfsgüter bereitstellen und wir werden auch in den folgenden Tagen die entlegenen Dörfer aufsuchen, vor Ort erste Hilfe leisten, die Anzahl betroffener Personen ermitteln und Angaben über Schadensumfang, benötigte Güter und Priorität der Hilfeleistungen nach Besham an diese Organisationen übermitteln. Diese Organisationen wiederum haben finanzielle Mittel und Personal Hilfsgüter zu kaufen und zu verteilen, sind aber nicht in der Lage, in die hochgelegenen Bergdörfer zu gelangen. So werden wir wieder Bezugsscheine ausschreiben und die Leute können sich dann die Güter unten im Tal selbst abholen.
So werden wir morgen Besham erst einmal für einige Tage verlassen und tiefer ins Gebirge eindringen. Dann wieder auf der anderen Seite des Indus, d.h. im Himalaja werden wir bis ins Dorf Sakargah fahren (wahrscheinlich werden wir einen Großteil der Strecke laufen müssen, weil alle Strassen kaputt sind) und dort unser Basislager errichten. Von dort aus werden wir dann in die angrenzenden Täler vordringen.

Noch ein paar Worte zur aktuellen Lage hier in Besham:
Die medizinische Versorgung ist ausgesprochen schlecht, lebensgefährlich Verletzte wurden in den Süden abtransportiert, die anderen bekommen hier nur Hilfe von Sanitätern, nach unseren Information ist kein Chirurg vor Ort. Wir haben heute einige Personen hier in Besham versorgt, unter anderem einen elfjährigen Jungen mit einer schweren Platzwunde am Knöchel, die schon einmal provisorisch genäht worden war, aber wieder aufgebrochen ist. Im örtlichen Krankenhaus haben Sie ihm einfach eine Mullbinde darum gewickelt und ihn wieder fortgeschickt. Wir haben die Wunde gereinigt, mit Wundnahtstreifen die weit auseinander klaffenden Ränder so gut es ging wieder zusammengefügt und einen sachgerechten Verband mit nicht mit der Wunde verklebendem Material angelegt. Eigentlich müßte er dringend zum Notarzt, aber das nächste funktionierende Krankenhaus ist 250 km entfernt und selbst dort hätte er kaum eine Chance mit seiner Verletzung zur Zeit überhaupt behandelt zu werden.
Lebensmittel selbst sind kein größeres Problem, diese können in Pakistan in ausreichender Menge beschafft werden. Woran es aber akuten Mangel gibt, sind Zelte und Zeltplanen. Vielleicht liest ja in Deutschland jemand diese Zeilen und kann eine größere Menge an Planen aus Plastikgewebe besorgen. Pakistan International Airlines transportiert Hilfsgüter kostenlos nach Pakistan.

18.10. Bericht aus Sakargah

Nach dem Aufstehen 6 Uhr frühstücken wir schnell und fahren dann mit einem geländegängigen Pick-Up auf die andere Indusseite und dann in ein schroffes Tal hinein. Der Fahrweg ist schon zu normale Zeiten ein gefährliches Abenteuer. Er schlängelt sich teils in schwindelerregender Höhe durch extrem steile Felsflanken. Nun nach dem Erdbeben, ist er überall mit frischem Gesteinsschutt bedeckt.
verschuettete strasse Die Autofahrt endete ziemlich unverhofft. Die Armee war dabei die Strasse zu räumen. Wenn man dazu Strasse sagen kann. Also Gepäck runter und zu Fuß weiter. Unser Gehilfe Achil bleibt erst mal unten und wir nehmen die persönlichen Sachen und den Sani-Koffer. Die Strasse ist überall zugeschüttet. Bis hier wieder Autos fahren vergehen noch Wochen. Der Weg ist nicht zu steil und nach 3 Stunden sind wir erst mal am Tagesziel, dem Dorf Sakargh.
Bevor wir zum Lager aufbauen kommen, sind schon die ersten Verletzten da. Wir müssen viel improvisieren um einigermaßen ordentlich arbeiten zu können. Sauberkeit und Eigenschutz ist oberstes Gebot, aber nicht einfach zu realisieren.. Die Verletzungen, die wir hier zu sehen bekommen sind fast alle sehr ähnlich. Große nässende Wunden bis tief ins Gewebe. Säubern, desinfizieren und verbinden. Einige müssen dringend zu einen Chirurgen sonst droht Amputation. Christian nimmt Verbindung zur deutschen Hilfsorganisation Humedica hier in Pakistan auf, um Verbandsmaterial nachzufordern und Schwerverletzte auszufliegen.
Das nächste Problem ist im Moment, daß wir nicht an unser Material kommen. Wir finden niemand der das Gepäck aus dem Tal holt. Die Männer sind geschwächt und hungrig, außerdem irgendwie völlig demotiviert. Der Ramadan ist in der Situation echt ungesund. Dann kommt doch noch ein Teil der Ausrüstung nach oben, und der Bürgermeister der nun eintrifft entschuldigt sich vielfach für seine Leute, der Rest wird gleich morgen früh geholt. Wir können weiter machen und arbeiten bis zum Einbruch der Dunkelheit.
Die Pakistani schaffen es sogar Strom in unser Zelt zu legen. Entspricht zwar nicht der DIN ist aber sehr hilfreich. Es ist völlig absurd, hier sind zwar alle Häuser zerstört, aber das dorfeigene Minikraftwerk arbeitet noch und so haben die Leute hier elektrisches Licht in Ihren ansonsten erbärmlichen Notunterkünften.
Da unsere eigene Verpflegung auch am Abend noch nicht eintrifft, verpflegen uns die Dorfbewohner von dem wenigen was sie haben ausgesprochen köstlich - man merkt, daß sie sehr glücklich über unsere Hilfe sind. So endet der Tag doch noch positiv. Wir haben am Nachmittag 20 Verletzten helfen können. Dabei 5 richtig heftige Fälle.

19.10. Sakargah

Schon in der Nacht wurden wir durch ein heftiges Nachbeben geweckt. Uns kann zwar hier absolut nichts passieren, wir haben unser Zelt am sichersten Platz des Tales, auf einer kleinen Insel aufgestellt, dennoch ist es schon ein befremdliches Gefühl, wenn hier immer wieder die Erde bebt. Das schlimmste daran ist, daß damit der Wiederaufbauwillen der Leute komplett ruiniert wird. Selbst in die wenigen Häuser, die noch stehengeblieben sind, geht niemand hinein, denn der nächste Erdstoß kann jeden Moment kommen.
Heute hat die Erde mindestens 20 mal gebebt, darunter einmal so heftig, daß wieder einige Erdrutsche und massiver Steinschlag ausgelöst wurden. Wieder gab es etliche Verletzte darunter 2 Patienten mit schwersten Kopfverletzungen. Die wurden sofort zu uns transportiert, aber mit unseren Mitteln können wir in solchen Fällen nur erste Hilfe leisten. So haben wir die klaffenden Wunden so gut es ging versorgt und uns dann die Finger nach einem Rettungshubschrauber wund telefoniert. Doch es ist uns trotz Telefonkosten von über 100 EUR nicht gelungen. Die Armee kennt diesen Ort nicht und findet ihn auch auf Ihren Karten nicht, obwohl wir ihnen den Weg exakt beschrieben haben und es hier sogar einen vorbereiteten Hubschrauberlandeplatz gibt, der auch schon benutzt worden ist. So müssen die Schwerstverletzten morgen in aller Frühe die 20 km nach Besham getragen werden. Wir haben Ihnen Schreiben für die Armee mitgegeben, daß sie wenigstens aus Besham ausgeflogen werden, denn sie schweben in Lebensgefahr.
Insgesamt haben wir heute 12 Stunden lang insgesamt 53 Patienten behandelt, die Hälfte davon Schwerverletzte. Die Bevölkerung hier hat inzwischen ein großes Vertrauen zu uns entwickelt, sie bringen auch Ihre Frauen zu uns zur Behandlung, eine Sache, die hier aufgrund der sehr strengen Koranauslegeung eigentlich undenkbar ist.
Aufgrund der vielen Verletzten nimmt unser Verbandmaterial rapide ab, wir gehen schon extrem sparsam damit um, verwenden teilweise halbe Kompressen, so daß es noch für schätzungsweise 100 Patienten reichen wird. Was danach wird, daran wagen wir gar nicht zu denken.

20.10. Erfolgreicher Tag

6.15 Uhr reißt uns ein fürchterlicher Lärm aus dem Schlaf. Die durchs Erdbeben schwer beschädigte Mühle ist endgültig zusammengebrochen, nur 3 Meter unterhalb unseres Zeltes welches sehr sicher auf einer kleinen Anhöhe steht. Dieses Schicksal droht hier noch vielen Gebäuden, als tickende Zeitbomben stehen sie hier herum. Sie werden zwar von niemandem mehr betreten, aber für die Passanten stellen sie dennoch eine Gefahr dar. Wir bewegen uns hier außerhalb unserer Insel prinzipiell nur mit Helm und nehmen im Gegensatz zu den Einheimischen stets den sichersten Weg, auch wenn es ein Umweg ist.
wundeNachdem wir am Vormittag wieder etliche Patienten behandelt haben, machen wir am Nachmittag einen Besuch im Nachbardorf. Plötzlich kommt ein pakistanischer Armeehubschauber das Tal herauf geflogen. Wir geben Zeichen und er kommt direkt auf uns zu, dreht dann aber wieder ab, fliegt zu unserem Camp und landet auf dem dortigen Landeplatz. Jens rennt los und trifft den Hubschrauber noch an. Vier Schwerverletzte werden eingeladen und Jens vereinbart, daß der Helikopter in einer Stunde noch einmal kommen wird. Christian läßt inzwischen einen lebensgefährlich Verletzten aus dem Nachbardorf zum Landeplatz transportieren. Er wird einfach auf seinem Bett festgebunden und damit auf den steilen Bergpfaden hinab zum Landeplatz getragen.
Wir haben große Mühe, die Leute in sicherer Entfernung vom Landeplatz zu halten, alle sind sehr neugierig. Am Ende gelingt es uns durch das Abspannen von etlichen Metern Reepschnur als Absperrung den Platz freizuhalten. Der Hubschrauber kommt wie versprochen und bringt auch eine Menge an Hilfsgütern mit, die in aller Eile entladen werden. Nun stürmen von allen Seiten die Bergbewohner herbei und wir befürchten schon eine große Schlägerei. Aber irgendwie gelingt es uns alle Güter auf einem Haufen zu halten und die Patienten einzuladen.
Als der Hubschrauber wieder verschwunden ist herrscht zunächst heilloses Durcheinander aber mit Hilfe unseres pakistanischen Begleiters Nassir gelingt es uns, durchzusetzen, daß erst mal alle Güter gezählt werden. Es sind 20 Decken, 10 Zelte und 13 Pakete mit je 5 großen Zeltplanen. Wir setzen noch durch, daß jedes der beiden nahegelegenen Dörfer jeweils 10 Decken, 5 Zelte und 30 Planen erhält, ein Paket mit Planen schleppen wir unbemerkt beiseite, die werden wir morgen an die Bedürftigsten der zu kurz Gekommenen verteilen.
Jedes Dorf soll einen Rat bilden und festlegen, wer was bekommt, und irgendwie scheint das auch zu klappen und so entfernen wir uns, denn auf uns warten schon wieder Patienten...

21.10. Sakargah

Heute schlafen wir ausnahmsweise mal bis 7 Uhr, kein Erdstoß weckt uns und auch die ersten wartenden Patienten verhalten sich rücksichtsvoll. Ein paar leichtere Fälle verarzten wir noch vor dem Frühstück, nach diesem geht Christian erst mal zum Dorfelektriker um aus dessen Pufferbatterie für die Lautsprecheranlage der Moschee unser Satellitentelefon wieder aufzuladen. "Dr. Sommerfeldt" behandelt inzwischen im Akkord weiter.
Gegen Mittag kommt erneut ein Hubschrauber der Armee und bringt Hilfsgüter: Decken, Pullover, 200 Quadratmeter Zeltplanen und 8 große Zelte - eine Spende aus China. Diesmal gibt es überhaupt keine Probleme mit der Verteilung der Güter. Die Dorfbewohner haben auf unser Drängen hin inzwischen ein Komitee für die Verteilung aller Hilfsgüter gegründet und das scheint auch alles sehr gerecht zu funktionieren.
Mit einem der acht Zelte demonstrieren wir ihnen noch den Aufbau, dann lassen wir Sie in Ruhe beratschlagen. Wir haben inzwischen Besuch bekommen. Die Adventure Foundation of Pakistan, ein Verein, der normalerweise Outdoor- Umwelt- und Skicamps für pakistanische Kinder und Jugendliche organisiert, hat am Taleingang in Kund ein eigenes Hilfscamp errichtet, welches ebenfalls komplett von freiwilligen Helfern betreut wird. Fünf von Ihnen, darunter ein Arzt sind heute zu uns aufgestiegen, um zu ermitteln, wie sie uns von unten aus unterstützen können. Wir geben Ihnen eine Bestelliste für unseren Verbandstoffbedarf mit und Sie versprechen uns, die benötigten Dinge morgen zu uns hoch zuschicken. Anscheinend haben Sie dies alles in Ihrem Lager. Wir erfahren, das unser Freund Arif Tufail, Verbindungsoffizier bei unserer Nanga Parbat Expedition 2004 mit unten in Kund ist. Er hatte damals den Kontakt zur Adventure Foundation hergestellt und wenn er gewußt hätte, wer hier oben ist, wäre er sicher selbst mitgekommen. Sollte uns nicht wundern, wenn er morgen oder übermorgen plötzlich vor unserem Zelt steht.
Am Nachmittag machen wir noch ein paar "Hausbesuche". Das sind meist die schlimmsten Momente. Zum einen sieht man die immensen Zerstörungen - neben den Häusern sind auch alle Wasserleitungen, die Bewässerungsgräben ja selbst ein großer Teil der mühsam angelegten Terassenfelder zerstört - zum anderen behandeln wir bei unseren Hausbesuchen natürlich genau die Patienten, die am schwersten betroffen sind und damit unter diesen Bedingungen kaum transportfähig. Drei von ihnen müssen wir morgen dringend ausfliegen lassen. Inzwischen haben wir auch die Möglichkeit den Piloten direkt anzurufen, er hat uns schon versprochen, morgen vorbeizukommen.

22.10. Sakargah

Ein Tag wie der andere? Auf den ersten Blick schon: Aufstehen, die ersten drei Patienten versorgen, Frühstück, weitere Patienten versorgen, Schwerverletzte mit Hubschrauber ausfliegen lassen, Hausbesuche machen, Abendbrot, Bericht schreiben und Abends ewig nicht einschlafen können, weil einem die grausamen Bilder schwerverletzter Kinder nicht aus dem Kopf wollen.
Aber jeder Tag hat auch seine besonderen Ereignisse, positive wie negative. Zunächst erhielten wir gegen 9 .30 Uhr Besuch von einem Trupp pakistanischer Soldaten.
alles ist zerstörtEs ist 14 Tage nach dem Beben der erste Versuch der Regierung, sich vom Boden aus ein Bild von der Situation in diesem Tal zu machen. Das mag schockieren ist aber auch erklärlich. Zum einen gibt es hunderte solcher Täler und der Zugang zu den meisten ist immer noch extrem schwierig zum anderen ist unser Tal hier nur ein Seitental von einem Seitental vom Industal. Aber hier leben insgesamt schätzungsweise 10.000 Menschen, die jetzt ALLE obdachlos sind. Bisher sind Zelte für maximal 200 von Ihnen hier eingetroffen. Für ungefähr 6000 von Ihnen stellt unser Camp die erste Möglichkeit der medizinischen Versorgung dar, die restlichen 4000 haben nicht einmal die Möglichkeit unser Camp zu erreichen, der hintere Teil des Tales ist durch nahezu ununterbrochen niedergehenden Steinschlag komplett von der Außenwelt abgeschnitten.
Gemeinsam mit den Soldaten ist Christian dann noch soweit im Tal aufgestiegen, wie es sinnvoll und ungefährlich möglich war. Dabei haben Sie neben weiteren Verletzten ein ca. achtjähriges Waisenkind vorgefunden, welches zum einen völlig unterernährt, zum anderen, durch mehrere nicht behandelte schwere Verletzungen sich in einem akut lebensgefährlichen Zustand befand. Da sich niemand vor Ort verantwortlich fühlte, dieses Kind zu uns zur Behandlung zu bringen, haben es anschließend unser Begleiter Nassir und der Leutnant des Trupps abgeholt und zunächst in unser Camp gebracht.
Dort war zu gleicher Zeit der Arzt, der zur Zeit für die Adventure Foundation in Kund arbeitete eingetroffen, um uns Nachschub an Verbandsstoffen und Dingen wie Hustensaft, Fiebermedikamenten und Elektrolyten zu bringen. Gemeinsam haben wir uns um das Kind gekümmert, es war in einem schrecklichen Zustand. Ein Fuß muß wahrscheinlich amputiert werden. Der Arzt hat das Kind dann gleich mitgenommen, er wird sich darum kümmern, daß es in ein SOS-Kinderdorf kommt.
Anschließend ist es noch gelungen, erneut 3 Schwerverletzte ausfliegen zu lassen und zwischen all diesen "aufregenden Dingen" haben wir dann noch über 50 Patienten behandelt. Zum einen Verletzungen, die schon 2 Wochen alt sind und bisher noch keine oder nur unzureichende Versorgung erfahren haben, zum andern aber auch immer wieder neue Verletzungen durch Steinschlag, andere herabstürzende Gegenstände und zusammengebrochene Notunterkünfte.
In den vier Tagen unseres Aufenthaltes hier haben wir über 200 Verletzte behandelt, darunter 80 Schwerverletzte von denen die meisten Frauen und Kinder waren.

Noch ein paar Worte zur allgemeinen Lage:
In den pakistanischen Nachrichten wurde heute gesagt, daß die pakistanische Industrie in der Lage ist, täglich 7000 Zelte zu produzieren, das klingt zunächst viel, aber für die Obdachlosen werden insgesamt 700000 Zelte benötigt werden und der Winter ist viel weniger als 100 Tage entfernt.
Schon für übermorgen sagt der Wetterbericht Regen und deutlich sinkende Temperaturen voraus. Wenn es nicht gelingt, wenigstens die Bergbewohner innerhalb eines Monats mit Zelten zu versorgen, werden zehntausende Kinder den Winter nicht überleben.
Noch ein paar Zahlen: offiziell spricht man jetzt von 53000 Toten und 73000 Verletzten, wobei hier nur schwerere Verletzungen gezählt werden. Zur Zeit sind 53 Hubschrauber im Einsatz, um Verletzte zu bergen und Hilfsgüter zu transportieren, davon 4 aus Deutschland. Zum Vergleich: bei der Tsunami-Katastrophe in Südostasien waren knapp 1000 Hubschrauber im Einsatz.
Aber auch in Pakistan scheint man nur von Kaschmir zu sprechen, wenn man das Katastrophengebiet meint. Unser Gebiet: Indus-Kohistan wird in keiner Nachrichtenmeldung erwähnt.

23.10. Vergebliches Warten

Gleich früh am Morgen werden wir wieder mit einigen sehr schwer verletzten Kindern konfrontiert. Wir fordern für 14 Uhr einen Hubschraubertransport an, doch schon 11 Uhr haben wir wieder mehr Schwerverletzte beisammen, als er mit einem Mal transportieren kann. Gegen Mittag überfliegt uns zunächst ein Beobachtungshubschrauber der UNO, etwas später wirft ein amerikanischer Transporthubschrauber 4 Zelte ab.
Aber unser Verletztentransport kommt nicht und so müssen wir heute Nacht einige der Verletzten, die aus weit entfernten Siedlungen zu uns gebracht worden sind bei uns beherbergen. Hoffentlich fliegt der Hubschrauber morgen, denn danach ist schlechteres Wetter angesagt.
Am Nachmittag schauen wir uns noch das zerstörte Schulgebäude an. Niemand hat es seit dem Beben betreten, auf den zerschlagenen Schulbänken liegen Betonbrocken neben Schulbüchern, niemand traut sich, auch nur seinen Schulranzen herauszuholen, das ganze Gebäude kann jeden Moment endgültig in sich zusammenstürzen.

24.10. Sakargah

Kaum hatten wir gestern unseren Bericht versendet, erschütterte erneut ein heftiges Beben das Tal. Im Radio haben wir erfahren, daß es die Stärke 6.0 hatte. Der schwerste Erdstoß ist nun schon 16 Tage her, aber die Erde kommt einfach nicht zur Ruhe. Auch heute gab es wieder etliche Erdstöße und jeder einzelne untergräbt den Wiederaufbauwillen der Leute hier noch weiter. Alle sind völlig demoralisiert. Wir haben dem Lehrer schon mehrfach ans Herz gelegt, wieder mit der Schule zu beginnen, solange es nicht regnet, ist das ja auch im Freien möglich - er zuckt nur mit den Schultern, meint, daß er erst sein Haus aufbauen müßte, aber auch das tut er nicht.
Hier ist gerade Erntesaison und so sind die Leute wenigstens etwas beschäftigt. Mit Sicheln mähen Sie Getreide und Maisfelder, die sie mühsam auf steilen Terrassen angelegt haben. Aber auch hierbei gibt es große Zerstörungen, ein Teil der Stützmauern und ein Großteil der Bewässerungsanlagen sind zerstört. Der Wiederaufbau hier wird Jahre dauern. Einige wenige Familien haben das Tal bereits auf Nimmerwiedersehen verlassen, sie wollen im Flachland ein neues Leben beginnen, aber auch das wird nicht einfach für sie. Die meisten jedoch werden bleiben.
Schon der zeitige Morgen bringt uns wieder einige schwierige Patienten und die kritischsten Fälle von gestern warten ja immer noch auf den Helikopter. Oft sind es Kinder, die am schwersten verletzt sind und jetzt, 16 Tage nach dem Beben sind die Wunden derer die nun erst aus Ihren hochgelegenen Siedlungen zu uns transportiert werden in erschreckendem Zustand. Einige sind bakteriell infiziert und damit mit unseren Mitteln nicht mehr zu beherrschen. Frakturen sind schief wieder zusammengewachsen und benötigen dringend qualifizierte Hilfe in einem Krankenhaus...
Ganz unverhofft erhalten wir dann plötzlich Verstärkung: Dr. Shahid aus Lahore, ebenfalls für die Adventure Foundation Pakistan hier im Erdbebengebiet tätig, und ein Assistent sind zu uns aufgestiegen. Ursprünglich nur, um uns mit neuen Verbandstoffen und Medikamenten zu versorgen, entschließen sie sich angesichts des Elends hier oben, über Nacht zu bleiben. Shahid als Arzt hat natürlich ganz andere Möglichkeiten als wir und er rückt unseren kritischsten Fällen auch gleich mit harten Mitteln zu Leibe.
Gegen 14 Uhr kommt dann auch der lange erwartete Hubschrauber für unsere Patiententransporte. Neben vier weiteren Zelten und einigen Decken bringt er auch ein Fernsehteam der BBC mit. Sie sind mächtig erstaunt uns hier anzutreffen und auch recht beeindruckt von unserer Arbeit, filmen aber natürlich hier vor allem die Zerstörungen und die ärmlichen Notbehausungen. Der Hubschrauber fliegt zunächst sechs Patienten aus und kommt dann noch mal zurück, um das Fernsehteam und zwei weitere Patienten abzuholen.
Danach gönnen wir zwei uns erst mal eine Pause von all den vielen Verletzungen. Während Dr. Shahid unser Praxis betreibt, helfen wir den Dorfbewohnern beim Aufbau der Zelte. Eigentlich sind sie hochgradig unbrauchbar und auch teilweise schon beschädigt, bzw. riechen recht muffig. Sie wurden anscheinend irgendwann mal als eine Art Partyzelt in der Wüste benutzt. Wasserdicht sind sie ganz bestimmt nicht, aber besser als gar nichts sind sie auf jeden Fall.
Für Mittwoch wurde uns jetzt noch einmal eine Hilfslieferung angekündigt, mal sehen was dann hier ankommt - das beste bisher waren auf jeden Fall die chinesischen Zelte. Der Abend bringt uns neben einer netten Unterhaltung mir Dr. Shahib vor allem eins: Nachbeben.

25.10. Der letzte Tag in Sakargah

In der Nacht regnet es leicht und früh ist alles wolkenverhangen. Schon vor dem Frühstück sind wieder die ersten Patienten bei uns. Da dies unser letzter "Arbeitstag" hier in Sakargah sein wird, haben wir etliche Patienten noch einmal zur Nachsorge / Kontrolle einbestellt. Bei vielen können wir einen guten Verlauf feststellen, doch es gibt auch noch einige wenige problematische Fälle. Dr. Shahid hat größere Mengen Antibiotika gegen Wundinfektion mitgebracht, die kommen dann zur Anwendung. Aber es gibt auch immer wieder frische Verletzungen. Heute zum Beispiel eine tiefe Kopfplatzwunde aufgrund teilweisen Einsturzes einer Notunterkunft.
Major Khattak stattet uns mit seinem Hubschrauber noch mal einen Kurzbesuch ab und bringt uns eine Kiste Verbandsstoffe, auf die wir schon dringend gewartet haben. Gegen Mittag macht sich Dr. Shahid auf den Heimweg und bei uns braut sich derweil ein mächtiges Gewitter zusammen. Es beginnt mit kirschkerngroßen Hagelkörnern und geht dann in langanhaltenden kräftigen Regen über. Blitz und Donner krachen durchs Tal und auch die Erde bebt mal wieder ein wenig - Weltuntergangsstimmung.
Durch das Gewitter läßt natürlich auch unser Patientenstrom nach. Es kommen noch zwei Brüder vorbei, die durch das Erdbeben zu Waisenkindern geworden sind. Wir verarzten ihre Wunden und geben ihnen dann unsere letzten zwei Decken und noch zwei Pullover mit auf den Weg, viel mehr haben wir nicht mehr zu verteilen. Danach beginnen wir so gut es der Regen zuläßt mit dem Einpacken unserer Sachen, denn wir wollen morgen zeitig wieder nach Besham heruntersteigen.
Der Abend bringt etwas Ruhe und auch ein klein wenig Zeit zum Nachdenken. Wir sind uns einig, daß jetzt ein guter Zeitpunkt ist, das Tal zu verlassen. Die wirklich kritischen Patienten wurden ausgeflogen, viele andere sind gut versorgt und werden auch ohne unsere weitere Hilfe vollständig genesen. Die wenigen, die noch weitere Versorgung ihrer Wunden benötigen wurden durch uns genau instruiert und mit den notwendigen Materialien ausgerüstet. Dr. Shahid wird ihnen in drei Tagen noch einmal einen Besuch abstatten.
sakargahDie Gesamtsituation für die ca. 6000 Leute hier hat sich in dieser einen Woche deutlich verbessert und auch wenn dies nicht allein unser Verdienst ist, so haben wir doch einen deutlichen Anteil daran. Weitere Hilfe für dieses Tal ist dennoch dringend nötig, wir werden morgen eine Abordnung der Bewohner mit nach Besham nehmen und bei den dort operierenden Hilfsorganisationen noch einmal ganz konkret nach Zelten, Planen und Decken fragen. Oxfam hat uns heute schon telefonisch versichert, daß sie da was für "unser" Sakargah tun können.

26.10. Abschied von Sakargah

Die letzte Nacht in Sakargah war die schlimmste. Von oben stundenlang Gewitter, Blitze, die in unmittelbarer Nähe unserer Zelte einschlagen und deren Lärm jeden Versuch einzuschlafen sofort im Keim erstickt, dazu immer wieder Erdstöße und der nicht enden wollende Regen, der unseren Zeltplatz immer mehr in einen See verwandelt. Rinnsale bahnen sich einen Weg durch unserer Küchen- und Hospitalzelt und auch unser Schlafzelt trieft schon vor Nässe. wir wagen garnicht daran zu denken, wie es den Mensche in ihren Notbehausungen gehen mag.
Irgendwann ist die Nacht vorüber und auch der Regen kommt zum Erliegen. Schnell packen wir unsere nassen Sachen zusammen und bald sind auch die Freiwilligen versammelt, die unser Gepäck wieder herunter ins Tal tragen werden. Vor dem Abmarsch müssen dann doch noch einmal zwei Patienten behandelt werden, doch 8.30 Uhr kommen wir endlich los. Der Weg zurück noch Besham ist nicht ganz ungefährlich, es gibt mehrere stark steinschlaggefährdete Stellen. An denen möchte uns nicht gerade ein Nachbeben erwischen. Die Armee hat die Versuche die Straße wiederherzustellen zunächst wieder eingestellt, nachdem es dabei mehrere Verletzte gegeben hat. Wir finden Ihre Planierraupe eingeklemmt zwischen großen Gesteinsblöcken.
Nach ca. zwei Stunden erreichen wir den letzten befahrbaren Punkt und finden dort auch glücklicherweise ein Auto vor, welches soeben von Besham heraufgekommen ist und uns nun wieder mit zurücknehmen kann.
feldlazaretIn Besham hat sich inzwischen viel getan. Die Ukraine hat ein mobiles Krankenhaus mit 80 Mann Personal und einer Kapazität von 500 Patienten pro Tag hier errichtet. Oxfam / Catholic Relief Services haben inzwischen eine gewisse Zahl an Zelten besorgen können und geben diese auf Bezugsscheine aus. Auch unsere eigenen Planen, die wir in Islamabad nähen lassen haben, sind inzwischen hier eingetroffen und wir übergeben sie an die Leute die uns aus Sakargah bis hierher begleitet haben. Es sind je 2 Vertrauensleute aus jedem der beiden Ortsteile. Gemeinsam mit Ihnen sprechen wir noch bei Oxfam vor und klären wie aufgrund der von uns gesammelten Informationen zu Familiengröße und Betroffenheitsgrad die vorhandenen Hilfslieferungen verteilt werden können.
Nachdem dies alles zur Zufriedenheit geklärt ist, besuchen wir noch das Hilfscamp der Adventure Foundation Pakistan. Die Jungs dort und natürlich besonders unser alter Freund Arif Tufail heißen uns herzlich willkommen. Wir beschließen, nicht im Hotel sondern hier zu bleiben, denn seit den heftigen Nachbeben der letzten Tage trauen wir hier keinem festen Gebäude auch nur irgend etwas zu, zumal das Hotel durchaus einige größere Risse aufweist. So übernachten wir dann doch lieber an einem steinschlagsicheren Platz im Zelt.

27.10. Besham und Umgebung

Im Vergleich zur vorangegangenen war diese Nacht der blanke Genuß: kein Sturm, kein Gewitter, kein Regen und nur ein einziger Erdstoß am Morgen. Nach dem Frühstück machen wir uns zügig auf den Weg. Heute geht es mal wieder in den Hindukusch, d.h. auf die westliche Indusseite.
Wir besuchen noch einmal die Siedlungen, die wir zu Beginn unseres Aufenthaltes aufgesucht hatten. Für einige der Familien hatte sich die Situation durch die von uns ausgegebenen Planen und teilweise auch durch andere Hilfsgüter deutlich verbessert. An diejenigen, deren Situation noch unterdurchschnittlich ist, geben wir noch einmal weitere Bezugsscheine für die bei uns noch vorhandenen Planen aus.
Einige sind schon fleißig beim Wiederaufbau Ihrer Häuser. Denen vermachen wir unser ganzes Werkzeug. Andere haben es gerade einmal geschafft, all ihre Habe aus den Trümmern zu bergen - keine Spur von einem Wiederaufbauversuch. Was uns zunächst nach Resignation aussieht hat aber eine ganz andere Ursache. Selbst hier oben in den Bergen bauen die Leute ihre Häuser nicht selbst sondern lassen Sie von Maurern und Zimmerleuten errichten. Diese sind jetzt natürlich erst einmal mit Ihren eigenen Häusern bzw. denen Ihrer Verwandten beschäftigt. Der "normale Bergbauer" weiß einfach nicht, wie man ein Haus baut. Aber wieviel Prozent der Deutschen könnten sich selbst ein Haus bauen?
Wieder unten in Besham verteilen wir die letzten Planen auf unsere ausgestellten Bezugsscheine. Danach statten wir noch einmal dem ukrainischen mobilen Krankenhaus einen kurzen Besuch ab. Eigentlich nur, um uns nach dem Gesundheitszustand der kleinen Seba zu erkundigen, dem Waisenkind welches wir oberhalb von Sakargah aufgefunden haben. Irgendwie liegt sie uns am Herzen. Der zuständige Arzt versichert uns, daß ihr Zustand inzwischen stabil ist und man die Wundinfektion in den Griff bekommen hat, eine von uns befürchtete Amputation ist zum Glück nicht notwendig. Seba wird anschließend nach Islamabad in ein Waisenhaus gebracht werden. Zu Ihrem eigenen Schutz wird Ihre Herkunft verschleiert werden, d.h. auch für uns besteht keine Möglichkeit, Ihren weiteren Weg zu verfolgen. Aber wir haben zumindest das Gefühl, daß sie nun in guten Händen ist.
Den Abend verbringen wieder im Camp der Adventure Foundation. Es ist schon dunkel, als deren Erkundungsteam zurückkehrt: drei junge Männer aus Lahore, die als Freiwillige gekommen sind hier zu helfen. Einer ist Unternehmer, die anderen beiden Studenten. Sie klappern hier in mühsamer Kleinarbeit die einzelnen Täler ab, steigen so wie wir zu den einzelnen Siedlungen auf und erfassen die Schaden, die Anzahl der betroffenen Familien und den Betroffenheitsgrad. Im Gegensatz zu uns haben sie aber keine Sanitätsausbildung, d.h. sie können den Verletzten nicht vor Ort helfen. Dennoch ist ihre Arbeit sehr wichtig, denn noch immer gibt es viele Siedlungen, in die bis jetzt, fast drei Wochen nach dem Beben, noch keinerlei Hilfe vorgedrungen ist, und deren Bewohner noch nicht einmal wissen, daß unten in Besham Hilfe für sie möglich ist.
Hier in Besham treffen jetzt täglich neue Hilfsgüter ein, doch der Bedarf gerade an Zelten und Zeltplanen kann bei weitem noch nicht gedeckt werden. Hier ist weitere internationale Hilfe dringend erforderlich, denn die Schneegrenze hat sich in den letzten zehn Tagen ein weiteres Stück nach unten geschoben.

28.10. Rückfahrt nach Islamabad

Mit einem Kleinbus fahren wir zurück nach Islamabad. Der Weg führt uns erneut durch die schwer beschädigten Städte Battagram, Mansehra und Abottabad. Spätestens ab Battagram sieht man, dass sich in den vergangenen zwei Wochen viel getan hat. Hier in den besser zugänglichen Gebieten wurden etliche Flüchtlingscamps, Feldlazarette und Ausgabestationen für Hilfsgüter errichtet. Vieles davon haben die Pakistanis aus eigener Kraft organisiert, wir sehen aber auch immer wieder internationale Hilfe so zum Beispiel mobile Krankenhäuser aus Malaysia und Südkorea, Hilfsgüter aus China, Saudia-Arabien und der Türkei sowie amerikanische Hubschrauber die damit beladen werden.
Aber der Bedarf an Hilfe scheint auch immer noch gewaltig zu sein, überall sehen wir endlose Schlangen von Menschen die auf Hilfe warten.
Zeitgleich macht sich in Deutschland Thomas Mecklenburg auf den Weg. Er ist Rettungssanitäter und Diplom-Medizinpädagoge und wird gemeinsam mit Rutker Stellke, welcher am 2.11. folgen wird unser erstes Team ablösen.

29.10. Materialübergabe in Islamabad

Thomas kommt 10.10 Uhr in Islamabad an und wird vom Jens und Christian vom Flughafen abgeholt. Dann bleiben reichliche drei Stunden für die Übergabe des Materials, das Einweisen in die Technik (E-Mail via Satellitentelefon) und sämtliche organisatorische Dinge. Danach müssen Jens und Christian schon zum Bus, denn Ihr Rückflug geht morgen früh vom 350 km entfernten Lahore ab.
Thomas wird bis zur Ankunft von Rutker am Donnerstag zunächst von Islamabad aus arbeiten. Erst wenn das Team komplett ist, wird die Arbeit in den Bergen fortgesetzt. Ein kleines Manko, aber Rutker konnte leider nicht eher kommen, anderseits war es wichtig, das Material hier in Pakistan direkt vom ersten ans zweite Team zu übergeben. Thomas wird sich an den vier Tagen in Islamabad keinesfalls langweilen, für qualifizierte Helfer gibt es auch hier großen Bedarf.

30.10. Rückflug 1. Team

Jens und Christian fliegen von Lahore nach Frankfurt und erreichen mit der Bahn Dresden dann am späten Abend.

Lesen sie auch den Bericht des 2. Teams (Rutker Stellke und Thomas Mecklenburg) sowie aktuelle Meldung zur Arbeit des 3. Hilfsteams (Jens Sommerfeldt, Michael Jürgens und Dr. Thomas Gündel).