Ak-Shiirak - Skiabenteuer Tienschan 2003

Chronik Teil 3 - Petrovsee bis Rückfahrt

13.04.2003 - Siebenter Tag auf Ski - Gipfelversuche am Dschaman-Suu-Pass
Es ist Sonntag, wir haben Urlaub, der Himmel verspricht einen Tag mit Sonnenscheinwetter und so beschließen Thomas und Anne, daß sie sich nach der Schlepperei der letzten Tage auch mal einen Tag "Urlaub am See" verdient haben.
Christian und Sven hält jedoch auch ein so idyllisch gelegener Platz nicht und so starten die beiden um 8.30 Uhr zu einer Skitour. Sie wollen den nördlichen Teil des Petrovgletschers erkunden. Zunächst steigen sie den sehr flachen Gletscher nach oben, bis dieser sich in Nord- und Südarm teilt und folgen dann dem Nordarm, bis zu dessen erneuter Gabelung. Das ursprüngliche Ziel, der Petrov-Pass, liegt in greifbarer Nähe, doch keiner der umliegenden Gipfel läßt sich bei den herrschenden Schneeverhältnissen ohne unvertretbar große Lawinengefahr besteigen. So wenden sie sich nach rechts und folgen dem nun steiler werdenden Seitenarm in Richtung des nördlichen Dschaman-Suu-Passes. Die Gipfel in dessen Nähe sehen zunächst flacher und damit heute eher ersteigbar aus. Zuerst peilen sie den links vom Pass gelegenen, ca. 4800m hohen Gipfel an. Da die Schneeverhältnisse jedoch denkbar ungünstig sind (unter einem dünnen Harschdeckel befindet sich bodenloser völlig unverfestigter Schnee, so das bei der doch vorhandenen entsprechenden Steilheit mit erheblicher Schneebrett-/Lawinengefahr gerechnet werden muß), beschließen sie, lieber den rechts vom Pass gelegenen, etwas flacheren und ebenfalls namenlosen Berg zu besteigen. Leider erweist sich dieser jedoch als völlig vom Wind freigeblasen und vereist. Mit den Leichtsteigeisen und nur einem leichten Pickel sind sie für Blankeis-Verhältnisse nicht ausreichend ausgerüstet und müssen umdrehen.
Ganz so schwer fällt ihnen die Entscheidung zur Rückkehr allerdings nicht, da sich das Wetter in der Zwischenzeit ziemlich verschlechtert hat. Im Laufe des Vormittags zogen bereits immer mehr Wolken auf, die Sicht wurde zunehmend schlechter und aus einem leichten Wind am Vormittag ist oben am Pass nachmittags ein orkanartiger Sturm geworden.
Nach zweistündiger Abfahrt erreichen sie schließlich wieder das Zelt, in dem Anne und Thomas schon mit heißem Tee und Kartoffelbrei auf sie warten. Die Bilanz des Tages: 23 Entfernungskilometer, aufsummierte 1500 Höhenmeter, 3 belichtete Filme aber leider kein Gipfelerfolg. Am Abend schneit es auch am Zelt wieder.
14.04.2003 - Schlechtwettertag
Die Nacht war windig und es hat etwas geschneit, heute früh präsentieren sich die Berge wieder wolkenverhangen und das Barometer sinkt und sinkt... - kurz: das Wetter ist bescheiden.
Oben auf dem Gletscher und zwischen den Berggipfeln hängt dicker Nebel und genaugenommen ist das Wetter hier unten am See sogar etwas besser, denn der Wind ist nicht all zu stark und der Schneefall nur leicht. Auch wenn man hier unten im Notfall sogar noch etwas unternehmen könnte, können wir uns bei dem Gedanken an die Sturm- und Nebelküche da oben auf dem Gletscher nicht zum Aufstieg durchringen. Aber den ganzen Tag hier unten im Zelt herumhängen ohne jede Beschäftigung? Aus Gewichtsgründen haben wir (leider!) weder ein Buch, noch Würfel oder gar Skatkarten als Zeitvertreib für Schlechtwettertage mit...
Dabei wäre Skat jetzt genau das Richtige! Vielleicht sollten wir uns ja selbst Karten dazu basteln?! Zum Beispiel aus den bunten Papierschildchen von unseren Teebeuteln...?!
Gesagt, getan! Mit der Rückseite unserer Mini-Skatkarten machen wir jetzt Werbung für Goldmännchen-Tee. Und mit der Vorderseite ist es ganz einfach: die gelben Anhänger vom Aprikosentee sind unsere Schellen, die roten des Wildkirschentees sind die Herzen, Pfefferminz
ist logischerweise Grün, nur die blauen Anhänger des Hawaii-Cocktail-Mix für Eichel sind etwas gewöhnungsbedürftig... Mit einem Stift werden noch die Zahlen bzw. A für As usw. draufgeschrieben und schon kann es losgehen. Und wer nach einer Seite aufschreiben die wenigsten Punkte hat, der muß bei dem Sauwetter, welches mittlerweile auch hier unten herrscht, Wasser holen gehen...
15.04.2003 - Achter Tag auf Ski - Aufstieg am südlichen Petrovgletscher
Als Christian gegen 6.00 Uhr mal draußen nach dem Wetter schaut, marschiert gerade ein grauer Fuchs an unseren Zelten vorbei. Er zeigt sich von unserer Anwesenheit völlig unbeeindruckt. Das Wetter leider auch, denn nach wie vor ist alles grau in grau...
Also erst einmal zurück in den Schlafsack. Gegen 8 sind dann erste Fetzen blauen Himmels zu erspähen, doch das Barometer zeigt weiter Tiefstwerte. Was tun? Es siegt der Optimismus, wir packen zusammen und steigen auf dem Petrovgletscher nach oben. Diesmal wollen wir auf den südlichen Arm, und das ist deutlich aufwendiger, als wir uns das vorgestellt haben. Etliche Senken und Spalten sind zu umgehen, ehe wir endlich die breite Moräne des südlichen Gletscherarms erreichen. Hier steigen wir noch eine Weile nach oben, ehe wir in etwa 4090m Höhe einen geeigneten Zeltplatz finden. Kaum stehen die Zelte, fängt es aus den unvermindert dichten Wolken schon wieder an zu schneien...
16.04.2003 - Neunter Tag auf Ski - Gipfelbesteigung
P4835Es schneit bis gegen 9.00 Uhr morgens, wobei insgesamt beachtliche 30cm Neuschnee zusammenkommen. Um 10.00 Uhr wird die Sicht etwas besser und zumindest ein Berg - der dominanteste in der näheren Umgebung - ist frei von Wolken.
Obwohl der Wind unvermindert bläst, machen sich Sven und Christian auf den Weg, denn wegen der durch Schlechtwetter erzwungenen Ruhetage sind wir zeitlich unter ziemlichen Druck geraten und müssen jede Chance auf einen Gipfelerfolg nutzen.
Schließlich steht uns ja auch noch der lange Rückweg bevor, bei dem wir im schlimmsten Fall mit ähnlich schlechtem Wetter wie bisher rechnen müssen und daher auch deutlich mehr Zeit einkalkulieren müssen als ursprünglich geplant...
Dick eingepackt gegen den eisigen Sturm steigen Christian und Sven mit Ski knapp 400 Höhenmeter empor bis zum Beginn einer Felsrippe. Weiter mit Ski nach oben zu steigen, erscheint aufgrund der zunehmenden Steilheit und wegen des vielen vom Wind verblasenen Neuschnees als zu riskant.
Darum klettern die beiden in teilweise recht anspruchsvollem Gelände (Einzelstellen III-IV) nun mit Steigeisen entlang der Felsrippe nach oben. Der Sturm wird immer stärker, je höher sie kommen, doch die Aussicht auf den nahen Gipfelsieg läßt die beiden weiterklettern. 100 Höhenmeter unterhalb des Gipfels wird das Gelände zunächst etwas einfacher, doch auf den letzten Metern fordert ein steiles Blankeisfeld noch einmal Können und Psyche heraus. Genau 15.05 Uhr stehen Christian und Sven dann glücklich auf dem schmalen Gipfelgrat. Das GPS-Gerät zeigt eine Höhe von 4835m. Die Sicht ist schlecht, doch trotzdem wird schnell ein Gipfelfoto geschossen und dann geht es schon wieder hinunter. Über das oberste Blankeisfeld wird abgeseilt, dann geht es durch steile, felsdurchsetzte Schneefelder links unserer Aufstiegsroute wieder hinab. Eine anspruchsvolle Querung, bei der nochmals das Seil erforderlich ist, bringt sie nach knapp 2 Stunden Abstieg zurück zum Skidepot. Der Sturm ist immer noch schier unerträglich und so genehmigen sie sich nur kurz einen Schluck aus der Trinkflasche und steigen dann unverzüglich auf die Ski. Eine zumindest von den Schneebedingungen her prachtvolle Pulverschneeabfahrt bringt die beiden zurück zu den Zelten. Dort ist der Wind nicht ganz so stark, aber das Thermometer zeigt eine Stunde vor Sonnenuntergang schon wieder -9 Grad Celsius an - es wird wieder einmal eine sehr kalte Nacht werden...
17.04.2003 - Zehnter Tag auf Ski - Vorzeitiger Rückmarsch
Früh am Morgen schneit es mal wieder und die Sicht ist schlecht. Doch zunächst sieht es so aus, als könne es noch aufreißen. Gegen 8.00 Uhr sind zumindest der 4550 m hohe Letawet-Pass und die umliegenden Gipfel sichtbar. Davon wäre sicher einer zu besteigen, doch als wir startklar vor den Zelten stehen, ist alles schon wieder in dichten Wolken verschwunden. Wir ändern den Plan und bauen die Zelte ab, denn im Hinblick auf unsere knapp bemessene und nun langsam zu Ende gehende Expeditionszeit müßten wir morgen sowieso mit dem langen Rückweg beginnen.
Noch während des Einpackens wird aus dem Wind wieder ein Sturm und wir müssen achtgeben, daß er uns die Zelte beim Zusammenpacken nicht aus der Hand reißt. Wir fahren den flachen Gletscher hinunter und der Sturm peitscht uns genau ins Gesicht. Zur Orientierung dienen uns Kompaß und GPS-Gerät, denn zu sehen ist kaum noch etwas. Als wir die Gletscherzunge erreicht haben, wird die Sicht wieder ein wenig besser und auch der Sturm bläst hier unten nicht ganz so stark. Wir folgen dem nördlichen Seeufer bis zu seinem Ende und halten uns dann immer in südwestlicher Richtung.
Unser Ziel ist die alte, jetzt nicht mehr betriebene Wetterstation Tienschan. Als wir uns sicher sind, daß wir diese, wenn auch sicher erst am späten Abend, heute noch erreichen werden, rufen wir mit dem Satellitentelefon unseren Partner in Karakol an, und vereinbaren, daß uns ein Fahrzeug am nächsten Morgen dort abholt. Gegen 15.00 Uhr stoßen wir auf die ersten Anlagen der Goldmine Kumtor. Wir halten uns zunächst etwas abseits, doch irgendwann kreuzt unsere Route die Minenstraße. Nach wenigen Minuten ist schon der Werkschutz bei uns. Man beäugt uns zunächst skeptisch und wir fragen nach dem Weg zur Wetterstation. Über Funk wird vom Werkschutz ein weiterer Wagen heranbeordert und wir werden die letzten 3 Kilometer bis zur Wetterstation gefahren. Außerdem bekommen wir sogar noch ein paar Orangen und Äpfel geschenkt. An der inzwischen schon recht verfallenen Station schlagen wir zum letzten Mal unsere Zelte auf. Über Nacht schneit es erneut heftig, was unsere Entscheidung zum vorzeitigen Abbruch nur bestätigt. Immer wieder fährt schwere Schneeräumtechnik vorbei, um den Weg zur Mine halbwegs befahrbar zu halten. Nur schwer finden wir Schlaf in den vom vielen Neuschnee eingedrückten Zelten...
18.04.2003 - Rückfahrt nach Karakol
Als wir halb sieben aufwachen, wartet Anatoli mir seinem GAZ schon am Straßenrand. Schnell wird eingepackt und im Auto erst einmal gefrühstückt. Anatoli hat frisches Brot und Käse mitgebracht - für unsere von Tütensuppen und Fertiggerichten nicht gerade verwöhnten Gaumen eine Delikatesse!
Von der Rückfahrt bis zum 3754m hohen Barskaun-Pass sehen wir fast überhaupt nichts. Nur die meterhoch aufgetürmten Schneehaufen entlang der Schotterpiste verhindern, daß der Fahrer den Weg in der Ebene verliert. Nach dem Pass geht es in steilen Serpentinen hinab. Auch unten im Tal liegt viel Neuschnee. Den letzten Teil des Weges legen wir auf der uns schon bekannten Straße nach
Karakol zurück. Selbst dort im Ort liegen 20 cm Schnee - für diese Jahreszeit recht ungewöhnlich und wie uns die Einheimischen versichern, herrschte hier die vergangenen zwei Wochen so schlechtes Wetter wie schon seit Jahren nicht mehr...
Angekommen im Hotel lassen wir sofort die Sauna anheizen und breiten in der Zwischenzeit unsere Sachen zum Trocknen aus. Die Annehmlichkeiten der Zivilisation genießt man nach langen Tagen unter spartanischen Bedingungen eben immer wieder besonders gern und intensiv...
19.04.2003 - Fahrt nach Bischkek
Am Morgen kommt Anatoli noch einmal im Hotel vorbei. Er bringt uns ein Fax aus der Heimat mit, welches noch einmal einen Schwung Adressen für unsere Grußpostkartenaktion enthält. Wir beschriften also die restlichen Karten und anschließend fährt uns Anatoli mit seinem altersschwachen VW Golf zum Busbahnhof. Irgendwie quetschen wir uns zu viert samt Gepäck und Ski hinein, und dann geht es los.
Am Busbahnof warten einige Minibusse. Sie werben mit deutlich kürzerer Fahrzeit zu nur geringfügig höherem Preis. Doch einen Haken hat die Sache: so ein Bus fährt nicht nach Fahrplan, sondern er fährt erst los, wenn alle Plätze besetzt sind. So müssen wir leider noch eine Stunde warten, ehe es endlich losgeht.
Die Fahrt selbst geht dann zügig voran. Der Himmel ist wolkenverhangen, von den Bergen rechts und links des Issyk-Kul sehen wir leider nicht viel. Der Fahrer bringt uns freundlicherweise direkt bis zu unserer Unterkunft, einem Studentenwohnheim. Am Abend wollen wir noch irgendwohin etwas essen gehen. Während wir vor drei Jahren noch ewig suchen mußten, um irgendwo eine Gaststätte aufzutreiben, finden wir jetzt eine beachtliche Auswahl an Restaurants vor. In Bishkek hat sich in den letzten Jahren tatsächlich einiges verändert!
20.04.2003 - Letzter Tag in Kirgistan - Aufenthalt in Bischkek
Unser letzter Tag in Bischkek beginnt damit, daß wir unser Quartier bereits um 8.30 Uhr verlassen müssen. Unser Gepäck stellen wir bei unserer Agentur unter, dann starten wir zu einem Bummel durch Bishkek. Zunächst besuchen wir den Basar Osch. Neben dem traditionellen Lebensmittelbasar sind hier in den letzten Jahren mehrere Hallen angebaut worden, um all den Händlern Platz zu bieten. Der Besuch des Basars ist beeindruckend! Insgesamt findet man hier sicher mehr Waren und Verkaufsfläche als in jedem noch so großen europäischen Einkaufscenter. Bei manchen Gütern, wie zum Beispiel Stoffen, ist die Auswahl schier unermeßlich. Anschließend bummeln wir noch etwas durch das Stadtzentrum und statten dem Museum einen Besuch ab. Hier scheinen die letzten 15 Jahre spurlos vorübergegangen zu sein. Lenin grüßt in Überlebensgröße schon am Eingang und eine ganze Museumsetage ist allein für Ihn und die Oktoberrevolution reserviert. Am Abend treffen wir uns noch mit Vladimir Komissarov, dem Präsidenten des Kirgisischen Alpinclubs. Neugierig lauscht er zunächst unseren Schilderungen. Er selbst war auch schon einmal mit Ski in der Ak-Shiirak-Gruppe unterwegs, allerdings im Sommer, wenn die Talgletscher aper sind. Für die Kumtor-Mine hatten sie damals im Westen der Gruppe einige Vermessungsmarken in der Höhe angebracht.
Dann kommt er aufs Wetter zu sprechen. So einen Frühling hätte es schon seit vielen Jahren nicht mehr gegeben. In tiefergelegenen Landesteilen haben die intensiven Niederschläge bereits zahlreiche Erdrutsche ausgelöst, einige Menschenleben sind zu beklagen.
Das schlechte Wetter, welches einen Großteil unserer Pläne vereitelte und uns quasi während der gesamten Tour begleitete, ist also hier keinesfalls jahreszeitbedingt üblich, sopndern war wirklich die große Ausnahme - Pech gehabt eben!
Zumindest wissen wir nun mit Sicherheit, daß es normalerweise anders ist und vielleicht kommen wir ja eines Tages wieder...
21.04.2003 - Rückflug nach Deutschland
Mitten in der Nacht fahren wir zum Flughafen von Bischkek und fliegen über Moskau nach Hause. Ostermontag erreichen wir alle wohlbehalten die Heimat. In Berlin werden wir abgeholt und das letzte Stück geht es zusammen mit Freunden nach Hause.
Sonnige Wärme empfängt uns und erinnert uns daran, daß im heimatlichen Elbsandsteingebirge inzwischen die Klettersaison begonnen hat.
Die Tourenski werden wir also erst einmal in die Ecke stellen, aber dann - schon in wenigen Wochen - beginnt mit Sicherheit bereits wieder das Pläneschmieden für die nächste große Tour...



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